4. November 2022

Insolvenzantragspflicht wieder geändert

Der Bundestag hat Änderungen beim Insolvenzgrund der Überschuldung beschlossen. Konkret wurde der sog. Prognosezeitraum von zwölf auf vier Monate verkürzt und gleichzeitig die Antragsfrist verlängert. Aber was bedeutet das genau? Lesen Sie hierzu das Interview mit unserem Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht Markus Benner.


Der Bundestag hat im Zuge der Umsetzung des 3. Entlastungspakets mehrere Änderungen im Insolvenzrecht beschlossen. So wurde das bisherige COVInsAG in SanInsKG umbenannt und es wurden insbesondere zeitlich befristete Modifikationen beim Insolvenzgrund der Überschuldung vorgenommen. Aber was bedeuten diese Änderungen konkret? Wer ist nach der Neuregelung noch antragspflichtig und wer nicht? Wir haben nachgefragt bei unserem Insolvenzrechtsexperten Rechtsanwalt Markus Benner:

UWW:

Ist die Insolvenzantragspflicht wieder für alle ausgesetzt?

RA Benner:

Nein! Während der Corona-Krise hatte der Gesetzgeber mehrfach Änderungen bei der Insolvenzantragsflicht vorgenommen und diese mit  unterschiedlicher Ausprägung vorübergehend ausgesetzt. Schon diese Aussetzungen galten aber entgegen einer weit verbreiteten Fehlvorstellung nicht für alle bzw. nicht ohne nähere Voraussetzungen. Die jetzt vorgenommene Modifizierung des Insolvenzgrundes der Überschuldung ist keine Aussetzung der Antragspflicht. Diese gilt beim Vorliegen eines Insolvenzgrundes ohne Einschränkungen.

UWW:

Wer ist wann überhaupt zur Insolvenzantragstellung verpflichtet?

RA Benner:

Geregelt ist die Insolvenzantragspflicht in § 15a InsO. Hiernach sind insbesondere die Geschäftsführer juristischer Personen beim Vorliegen von einem der verpflichtenden Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung gehalten, ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag zu stellen.

UWW:

Wann ist ein Unternehmen zahlungsunfähig?

RA Benner:

Zahlungsunfähig ist ein Unternehmen, wenn es nicht dazu in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Wann dies tatsächlich der Fall ist, definiert das Gesetz nicht näher. Es gibt aber umfangreiche Rechtsprechung hierzu. Ausgangspunkt ist immer ein sog. stichtagsbezogener Liquiditätsstatus. Decken die am Prüfungstag verfügbaren liquiden Mittel die fälligen und ernstlich eingeforderten Verbindlichkeiten zu weniger als 90%, dann liegt regelmäßig Zahlungsunfähigkeit vor. Es sei denn, die Liquiditätslücke lässt sich binnen drei Wochen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schließen.

UWW:

Und was versteht man demgegenüber unter Überschuldung?

RA Benner:

Überschuldet ist ein Unternehmen, wenn sein Vermögen die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist im Prognosezeitraum überwiegend wahrscheinlich. Aufzustellen ist mithin eine sog. Überschuldungsbilanz. Diese ist nicht identisch mit Handels- oder Steuerbilanz, sondern folgt teilweise eigenen Regeln. Im Unterschied zur Zahlungsunfähigkeit geht es hier also nicht um die Fähigkeit zur pünktlichen Bezahlung fälliger Verbindlichkeiten, sondern es wird quasi umfassender geprüft, ob die Schulden höher ausfallen als die gegenüberstehenden Vermögenswerte.

UWW:

Muss jedes rechnerisch überschuldete Unternehmen Insolvenzantrag stellen?

RA Benner:       

Nein, zum Glück nicht. Der insolvenzrechtliche Überschuldungsbegriff ist zweistufig. Selbst wenn die Schulden eines Unternehmens höher ausfallen als dessen Vermögen, dann besteht solange keine Antragspflicht wegen Überschuldung, wie das Unternehmen noch eine sog. positive Fortbestehensprognose besitzt. Und genau hier setzt jetzt der Gesetzgeber mit der vorgenommenen Änderung an. Der Prognosezeitraum für die Fortbestehensprognose ist befristet bis Ende 2023 von bisher zwölf auf nur noch vier Monate verkürzt worden.

 UWW:                

Reicht es also aus, dass es ein rechnerisch überschuldetes Unternehmen irgendwie schafft, die nächsten vier Monate zu überstehen?

RA Benner:

Nein, so einfach ist es leider nicht. Selbst wenn es ein rechnerisch überschuldetes Unternehmen irgendwie schafft, bis zur Insolvenz noch vier, zwölf oder noch mehr Monate weiter zu wirtschaften, dann kann der Geschäftsführer hinterher nicht sagen seht her, wir haben es länger als vier Monate geschafft und hatten deshalb bei Eintritt der rechnerischen Überschuldung eine positive Fortbestehensprognose. Die Anforderungen sind wesentlich höher.

UWW:

Was genau ist eine positive Fortbestehensprognose und wo bekommt man die her?

RA Benner:

Wie das Wort Prognose schon sagt, handelt es sich hierbei um einen Blick in die Zukunft. Den muss man (spätestens) dann anstellen, wenn die rechnerische Überschuldung eintritt. Das Kernelement einer positiven Fortbestehensprognose ist die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum.

Aufstellen kann eine solche Prognose im Prinzip jeder, also auch jeder Geschäftsführer selbst. Aber hier ist Vorsicht geboten. Meine Praxiserfahrung als Insolvenzverwalter zeigt mir, dass in den allermeisten Fällen entsprechende Prognosen entweder nicht angestellt werden oder dass diese unter gravierenden handwerklichen Fehlern leiden. Und dann sind sie nichts wert und der Geschäftsführer haftet in existenzgefährdender Weise persönlich.

 Es ist daher jedem Geschäftsführer zu empfehlen, sich bei der Insolvenzreifeprüfung und insbesondere dem Aufstellen von Fortbestehensprognosen qualifizierte fachliche Unterstützung zu besorgen. Am Besten durch einen Fachanwalt für Insolvenzrecht oder einen Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht.

UWW:

Inwiefern hilft jetzt die gesetzliche Neuregelung den Geschäftsführern?

RA Benner:

Keiner von uns weiß, was die Zukunft bringt. Jede Prognose ist daher salopp formuliert ein Blick in die Glaskugel. Und je weiter der Blick in die Zukunft reicht, umso trüber wird das Bild. Bei der Länge des Planungszeitraumes kommt der Gesetzgeber den Geschäftsführern jetzt entgegen. Ausgehend von der aktuellen Lage muss die Liquiditätsplanung als Kernelement der Fortbestehensprognose mit in Kraft treten der Neuregelung nur noch vier Monate in die Zukunft reichen. Alle anderen Anforderungen bleiben jedoch gleich. Und es handelt sich insbesondere um keine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht!

UWW:

Wie schnell müssen Geschäftsführer bei der Insolvenzantragstellung reagieren?

RA Benner:       

Wenn ein antragspflichtiges Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist, müssen die Geschäftsführer „ohne schuldhaftes Zögern“ Insolvenzantrag stellen. Nur so können sie eine Strafbarkeit oder persönliche Haftung wegen Insolvenzverschleppung vermeiden. Bei Zahlungsunfähigkeit gilt eine Höchstfrist von 3 Wochen für die Antragstellung. Bei der Überschuldung waren es zuletzt 6 Wochen und zukünftig gelten hier jetzt 8 Wochen. Diese Höchstfristen sollen den Geschäftsführern nach Eintritt des Insolvenzgrundes die Möglichkeit eröffnen, noch rasch Sanierungsmaßnahmen zur Behebung des Insolvenzgrundes einzuleiten. Das bedeutet aber auch, dass man die Fristen dann eben nicht bis zum letzten Tag ausschöpfen darf, wenn man überhaupt keine Sanierungsmaßnahmen einleitet oder solche offensichtlich ungeeignet sind, den vorliegenden Insolvenzgrund zu beseitigen.

UWW:

Was würden Sie Geschäftsführern in der aktuellen Situation raten?

RA Benner:

Viele Unternehmen befinden sich jetzt seit über zweieinhalb Jahren mehr oder weniger im Dauerkrisenmodus. Die Planbarkeit der Zukunft ist uns allen etwas abhandengekommen. Da keiner von uns weiß, wann es wieder besser, ruhiger, planbarer wird, macht es wenig Sinn auf diesen Zeitpunkt zu hoffen. Wer sein Unternehmen bislang noch nicht insolvenzrechtlich durchleuchtet hat, sollte damit nicht länger warten und sich jetzt professionelle Unterstützung holen. Viele unerkannte Probleme und Risiken können mit dem Faktor Zeit am besten in den Griff bekommen werden. Daher nicht länger warten, jetzt handeln und qualifizierte fachliche Unterstützung an Bord holen. Am Besten mit Unterstützung unseres Hauses. Denn Krisen-, Sanierungs- und Restrukturierungsberatung ist seit über 30 Jahren eine Kernkompetenz von UWW.

UWW:                  Vielen Dank Herr Benner!

 

Rechtsanwalt Markus Benner ist Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht und wird regelmäßig von Gerichten zum Sachverständigen und Insolvenzverwalter in Unternehmensinsolvenzverfahren bestellt. Als zertifizierter Restrukturierungs- und Sanierungsexperte (RWS) ist er zudem auch im Bereich der insolvenznahmen Sanierung oder der präventiven Krisenberatung tätig.